OP-Schwester Sandra Stauber arbeitete zehn Tage lang in einer indischen Klinik
Bei dem Begriff Plastische Chirurgie denkt man spontan an faltenfreie Gesichter und andere Schönheitsideale. Doch bei Sandra Staubers Einsatz in Indien ging es um viel mehr: um Lebensqualität und Lebensfreude. Die 43-jährige OP-Schwester aus Straubing war zehn Tage lang im Auftrag der Organisation „Interplast“ in einer Klinik in der Stadt Vikasnagar tätig und hat sich damit einen langjährigen Traum erfüllt. Wieder daheim, sagt sie: „Wir wissen gar nicht, wie gut es uns hier geht.“
Eigentlich arbeitet Sandra Stauber als OP-Schwester im Klinikum St. Elisabeth. Schon lange spielte sie mit den Gedanken ihr Wissen einmal im Ausland einzusetzen. Über private Kontakte kam sie schließlich zu „Interplast“, einem Verein, der unentgeldlich plastisch-chirurgische Operationen in Entwicklungsländern durchführt. „Ich habe eine Bewerbung eingereicht und es hat ziemlich schnell geklappt“, schildert sie lachend. Ende Oktober machte sie sich gemeinsam mit einem plastischen Chirurgen aus Schliersee und einem Anästhesisten aus Delmenhorst auf den Weg nach Nordindien.
„Der Empfang dort war unglaublich herzlich“, erzählt Sandra Stauber, während sie in einem Fotoalbum blättert. Sie deutet auf ein Bild, das sie mit einer Blumenkette und einem roten Punkt auf der Stirn zeigt. „Ich war in einer anderen Welt angekommen, voller Farben, Gerüche und auch Gestank.“ Die hygienischen Standards und die medizinische Versorgung seien in keinster Weise mit deutschen Verhältnissen vergleichbar. „Wir denken, alles ist selbstverständlich. Aber das ist es nicht.“
Vor Ort kümmerte sich die Georg-Michael-Praetorius-Stiftung um das medizinische Team aus Deutschland. „Wir waren in einem Ashram untergebracht mit eigenem Fahrer und Koch. Die Unterkunft war sauber und total in Ordnung.“ Von dort ging es jeden Morgen ins „Kalindi Hospital“, wo ein Zwölf-Stunden-Tag auf die Ärzte und Sandra Stauber wartete. Innerhalb von zehn Tagen untersuchten und screenten sie 55 Patienten, 26 davon wurden schließlich operiert.
Die Bandbreite reichte von Missbildungen über Brandverletzungen hin zu Folgen von Säureanschlägen. Einen Teil der OP-Instrumente hatten die Mediziner aus Deutschland mitgebracht, um fachgerecht operieren zu können. „Die Ausstattung des Operationssaals war wie erwartet sehr einfach“, beschreibt Sandra Stauber. Auf Fotos ist sie in einem durchlöcherten Kittel und Flip Flops zu sehen – „das waren meine OP-Schuhe“. Die Lampen sind notdürftig mit Klebeband umwickelt und auch das restliche Equipment sieht nicht gerade vertrauenserweckend aus. Aufklärungsbögen werden mit einem Fingerabdruck unterschrieben.
Dennoch, so sagt die 43-Jährige, sei sie während der Zeit in Indien absolut erfüllt gewesen. „Ich hatte sehr viel Freiraum bei der Arbeit. Und das wichtigste: Wir konnten vielen Menschen dabei helfen, wieder ein halbwegs normales Leben zu führen.“
Zwei Fälle sind ihr besonders nahe gegangen: Zum einen der 14-Jährigen Tarun, für den Sandra Stauber inzwischen eine Patenschaft übernommen hat. Im Alter von einem Jahr er ein Zugunglück, es musste ihm jedoch der Fuß amputiert werden. Inzwischen hatte sich sein Vorfuß stark entzündet. In diesem Zustand stellte sich der Junge ganz alleine, humpelnd an einem Holzstock, in der Ambulanz des „Kalindi Hospital“ vor. „Das ging mir schon sehr nahe“, sagt Sandra Stauber. In einer zehnstündigen Operation wurde Tarun ein Hautlappen vom Rücken entnommen und damit der Hautdeffekt am Fuß gedeckt. Zuvor war das entzündete Gewebe entfernt worden. Jetzt kann der Junge zumindest wieder ohne Schmerzen leben.
Und dann war da noch die 17 Jährige Seema, die seit Geburt am Pierre-Robin-Syndrom leidet. Daraus resultiert ein fehlender Unterkiefer. „Als wir gerade loslegen wollten, gab es plötzlich einen Stromausfall. Nachdem der Strom wieder da war, funktionierte auch noch ein Gerät nicht, das der Chirurg extra aus Deutschland mitgebracht hatte.“, erzählte Sandra Stauber. Keinesfalls wollten die Helfer die Operation absagen, also improvisierten sie. „Letztendlich ist alles gut gegangen.“ Seema trägt nun für einige Zeit eine Art Schrauben-Implantat, das dafür sorgt, dass sich das Knochengewebe im Unterkiefer nachbildet.
„Obwohl ich nur zehn Tage weg war, fiel mir nach meiner Heimkehr die Umstellung schwer. Der Überfluss, in dem wir Leben, fällt einem dann erst so richtig auf“, bilanziert Sandra Stauber. Ihr Mann und ihre Kinder sind stolz auf sie und finden es gut, dass sie bereits im April wieder nach Indien aufbrechen wird. Diesmal geht es in die Nähe von Delhi. „Und dann nehme ich mir auch meine eigenen OP-Schuhe mit.“
– von Karola Decker, Straubiner Tagblatt vom 03.12.2016